Die meisten Segmente des MGEN-Podcasts beziehen sich auf mehr oder minder aktuelle Nachrichten und können nach einer Weile getrost vergessen werden. Wir finden aber, dass einige Segmente auch jenseits der Nachrichtenlage interessant sein könnten. Darum haben wir beschlossen, solche Segmente nach Themen sortiert zu Übersichtsfolgen neu zusammen zu schneiden.
Religiöse Leute behaupten oft, dass das Eintreffen von Prophezeiungen, also Vorhersagen von Tatsachen, die im Voraus nur eine Gottheit kennen kann, die Wahrheit ihrer jeweiligen Religion beweist.
Diese Überblicksfolge enthält zwei Segmente zum Thema Prophezeiungen: Zuerst beschäftigen wir uns mit dem in religiösen Kreisen heftig befeierten „Beweis“ für die Korrektheit des Christentums vom Kreationisten-Papst Werner Gitt, und zerlegen ihn ohne jede Mühe in traurige Bröckchen. Dann schauen wir uns die in Kreationisten- und Verschwörungsgruppen immer wieder geheimnisvoll geraunte Prophezeiung zum angeblichen Bargeldverbot genauer an, klopfen sie auf ihre historischen Hintergründe ab und wundern uns darüber, dass so viele Leute so einen Unsinn wirklich ernst nehmen.
Segmente in dieser Folge:
Der Beweis für die Korrektheit des Christentums von Werner Gitt (Folge 2017.01)
Wir leben in der Endzeit: Das Bargeldverbot (Folge 2017.03)
Ergänzend hat sich Matthias „Skydaddy“ Krause die von Werner Gitt vorgebrachten „3268 erfüllten Prophezeiungen“ der Bibel im Rahmen eines Blogposts näher angeschaut.
Fragen oder Anmerkungen, Themenvorschläge oder Beschimpfungen bitte unter diesem Artikel in den Kommentaren hinterlassen oder an mgenblog@gmx.de. Falls ihr mögt, bewertet unseren Podcast doch bei iTunes und abonniert ihn bei
Die Menschheit ist in Gefahr! Wir leben in der Endzeit! Gottes Zorn wird uns alle zermalmen! Bald kommt die Entrückung, das Weltende, die Wiederkunft Christi! Und das alles wird glasklar und für jeden lesbar vorhergesagt von den Propheten der Bibel, doch — irgendwie glaubt es einem niemand. Voll blöd.
Also, was muss ich tun, um einen kritischen Geist davon zu überzeugen, dass eine biblische Prophezeiung wirklich und tatsächlich eingetroffen ist? — Und zwar nicht nur eine einzige, sondern so viele, dass zweifelsfrei klar wird, dass die zotteligen Propheten von Gott Jahwe tatsächlich selbst in die Welt geschickt wurden um eine höhere Wahrheit zu verkünden?
Dazu brauchen wir drei Schritte:
Zitieren der Prophezeiung inklusive ihres Kontexts,
Nachprüfbares Darstellen des Ereignisses, das man für das Eintreffen der Prophezeiung hält, und
Erläutern, wieso man das Ereignis zwingend als Eintreffen der Prophezeiung wertet.
Um nicht gleich zu Anfang zu scheitern, sollte man dabei dringend beachten, welche Ansprüche an eine Behauptung gestellt werden, damit sie überhaupt erstmal als gültige Prophezeiung gelten kann. Die Behauptung muss:
zutreffend sein („Schwarz ist rot und plus ist minus“ ist keine Prophezeiung),
sie muss vor dem betreffenden Ereignis gemacht werden („Gestern hatte ich üble Kopfschmerzen“ auch nicht),
das Ereignis muss außergewöhnlich sein („Morgen früh wird die Sonne aufgehen“ ebenfalls nicht),
sie muss exakt sein („Du wirst einen hochgewachsenen Fremden treffen,“ nope), und
die Prophezeiung darf das Ereignis nicht selbst auslösen („Kellner, ich prophezeie eine Pizza!“).
Um das Zutreffen einer Prophezeiung beurteilen zu können, muss die Erfüllung zudem beobachtbar sein: Falls wir nicht beurteilen können, ob das prophezeite Ereignis eingetroffen ist oder nicht, bleibt die Aussage eine bloße Behauptung.
Ein schlechtes Beispiel
Hier eine Behauptung, die wirklich niemanden von dem Eintreffen einer Prophezeiung überzeugt:
Das baldige Kommen des „Mals des Tieres“ RFID Chip in der rechten Hand oder in der Stirn zum Bezahlen
Hierbei sind alle drei Schritte missraten:
Wir erfahren nicht, wie der Text der Prophezeiung lautet und wie deren Kontext aussieht. Spricht die Bibel (oder sind es doch der Koran oder der Herr der Ringe?) tatsächlich von RFID-Chips? Oder ist die Formulierung vielleicht doch eher vage und könnte etwas ganz anderes bedeuten? Werden auch andere Spitzentechnologien erwähnt?
Das Ereignis, das die Prophezeiung erfüllen soll, ist gar kein Ereignis, sondern das „baldige Kommen“ eines vermuteten Ereignisses — also pure Spekulation. Mit etwas gutem Willen könnte man den Hinweis auf das baldige Kommen auch als weitere Prophezeiung ansehen; dann würde hier die eine Prophezeiung durch eine andere Prophezeiung erfüllt. Egal: Das Ereignis ist nicht geschehen, ist also nicht beobachtbar, und reisst damit die oben aufgestellten Bedingungen für eine gültige Prophezeiung. Überzeugend? Nope.
Der argumentative Bogen, wieso „das baldige Kommen“ von RFID-Chips die Vorhersage über das „Zeichen des Tieres“ erfüllt, fehlt völlig. Da die Bibel selbst nicht von RFID-Chips spricht (Überraschung!), ist der Zusammenhang ohne Weiteres nicht ersichtlich — auch wenn es für den aufgeregten Jesus-Jünger vielleicht auf den ersten Blick so scheinen mag. Also: Wieso meinen die Bibelautoren mit ihrem „Und es [das böse Teufelstier] bewirkt, daß allen … ein Malzeichen gegeben wird auf ihre rechte Hand oder auf ihre Stirn“ das Einpflanzen von RFID-Chips unter die Haut?
Ein besseres Beispiel
Nun kann man das Ganze auch — zumindest auf den ersten Blick — geschickter anstellen. Zum Beispiel so:
„Darum, so spricht Gott: Siehe, ich komme über dich, Tyrus, und will viele Völker gegen dich heraufführen, wie das Meer seine Wellen heraufführt! Und sie werden die Mauern von Tyrus zerstören und ihre Türme niederreißen; und ich will das Erdreich von ihr wegfegen und sie zu einem kahlen Felsen machen; zu einem Ort, wo man die Fischernetze ausspannt, soll sie werden inmitten des Meeres.” (Hesekiel 26, 3-5)
Nun ist die Stadt Tyros tatsächlich von Alexander dem Großen zerstört worden und wurde nie wieder aufgebaut. In der Tat kann man dort heutzutage Fischer sehen, die auf den alten Grundmauern ihre Netze trocken. Exakt so wurde es von Hesekiel vorhergesagt; die Prophezeiung ist daher offensichtlich erfüllt.
Viel besser, oder? Skeptische Geister können sich vom Inhalt der Prophezeiung überzeugen, im Zweifel in der angegebenen Quelle nachschauen, dann den geschilderten Sachverhalt prüfen, und sich schließlich davon überzeugen lassen, dass der Sachverhalt tatsächlich die Prophezeiung erfüllt. So ist ein wichtiger Schritt gemacht um kritische Menschen davon zu überzeugen, dass eine Prophezeiung tatsächlich eingetroffen ist.
Aber, Moment … wenn hier wirklich Tyros, exakt wie vorhergesagt, zerstört wurde und heutzutage nur ein kahler Felsen ist, ist dann vielleicht doch etwas dran an den biblischen Prophezeiungen …? Nun?
Eins ist sicher: Das Bargeldverbot kommt, wie in der Bibel prophezeit. Wir leben in der Endzeit. Noch nie gehört? Doch, es ist so: Die wollen uns das Geld wegnehmen!! Diesmal aber wirklich, beim nächsten Mal ganz sicher und beim Mal danach dann ohne jeden Zweifel!! RegelmäßigundinWellenmachtin bestimmten Kreisen das Gerücht die Runde, „die da oben“ wollten das Bargeld verbieten. In Indien und in Schweden haben die das schon durchgezogen! Als Nächstes bei uns!
Wer genau sind „die“? Wer weiß das schon? Illuminati, Freimaurer, „dä Jodn“, Echsenmenschen – je nach persönlicher Disposition und Wahnvorstellung. Hier treffen sich bibeltreue Christen, Reichsbürger, Esoteriker und allerlei politische Verschwörungsgläubige. Und wo haben die’s alle her? Genau, aus der Bibel: Als Beweis für diesen unmittelbar bevorstehenden Akt der Unterdrückung wird eine Prophezeiung aus der Offenbarung des Johannes, Kapitel 13 zitiert, die das Bargeldverbot präzise vorher sagen soll. Für viele Christen ist daher klar: Dieses Bargeldverbot ist ein Zeichen für den unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang, den ihr Jesus voraussagt. Spätestens jetzt sollte allen klar sein: Wir leben tatsächlich in der Endzeit.
Was ist eine Prophezeiung?
Auf die Gefahr hin treue Leser zu langweilen, hier nochmal die Kriterien dafür, dass eine Aussage oder Behauptung als gültige Prophezeiung gewertet werden kann: Die Behauptung muss zutreffend sein („Schwarz ist rot und plus ist minus“ ist keine Prophezeiung), sie muss vor dem betreffenden Ereignis gemacht werden („Gestern hatte ich üble Kopfschmerzen“ auch nicht), das Ereignis muss außergewöhnlich sein („Morgen früh wird die Sonne aufgehen“ ebenfalls nicht), sie muss exakt sein („Du wirst einen hochgewachsenen Fremden treffen,“ nope), und die Prophezeiung darf das Ereignis nicht selbst auslösen („Kellner, ich prophezeie eine Pizza!“). Um das Zutreffen einer Prophezeiung beurteilen zu können, muss die Erfüllung zudem beobachtbar sein: Falls wir nicht beurteilen können, ob das prophezeite Ereignis eintrifft oder nicht, bleibt die Aussage eine bloße Behauptung.
Was steht wirklich in der Bibel?
Als erstes schauen wir mal, was die Bibel zur Bargeldabschaffung ganz konkret schreibt. Die Religionisten beziehen sich dabei auf Offenbarung 13:16-18:
„Und es [das böse Teufelstier] bewirkt, daß allen, den Kleinen und den Großen, den Reichen und den Armen, den Freien und den Knechten, ein Malzeichen gegeben wird auf ihre rechte Hand oder auf ihre Stirn, und daß niemand kaufen oder verkaufen kann als nur der, welcher das Malzeichen hat, den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens. Hier ist die Weisheit! Wer Verstand hat, der berechne die Zahl des Tieres, denn es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist 666.“
Hm, von Bargeldverbot steht da aber nichts. Was der Verfasser uns konkret mitteilen will, bleibt unklar. Das „Malzeichen auf der rechten Hand“ könnte – mit viel gutem Willen und etwas Phantasie – auf Geldmünzen einer bestimmten Währung hinweisen, aber wohl kaum auf dessen Abwesenheit oder Verbot. Möglicherweise geht es um die vom Verfasser ungeliebte römischen Währung (siehe unten), auf deren Münzen in der Regel der amtierende Kaiser abgebildet war. Vielleicht geht es auch um die eisernen Ringe, die römische Bürger als Zeichen ihres Standes zu tragen hatten – Das alles sind aber lediglich Spekulationen: Nichts Genaues weiß man nicht! – Ein Bargeldverbot, das lässt sicher sicher sagen, wird hier jedenfalls nicht erwähnt.
Faktencheck: Gibt es ein Bargeldverbot?
Als Beweise für ein das Eintreffen der prophezeiten Ereignisse werden immer wieder Fälle in Indien und Schweden vorgebracht, wo Bargeld angeblich schon verboten sei. Schaut man etwas genauer hin, bleibt jedoch nicht allzu viel von der Endzeitstimmung übrig:
In Indien gibt es kein Bargeldverbot. Stattdessen hat die dortige Regierung im November 2016 die großen Rupienscheine (500 und 1000 Rupien) mit einer ziemlich knappen Frist gegen ein neues Design eintauschen lassen. Warum? Offenbar gibt es dort große Probleme mit Korruption und Schwarzgeld — letzteres wird dabei gern in den betreffenden Scheinen kofferweise im Haus gelagert. Durch den Designwechsel wollte die indische Regierung die Besitzer von Schwarzgeld dazu zwingen, es bei einer Bank gegen die neuen Scheine zu tauschen — so sollten die Ganoven auf dem Radar der wachsamen Behörden auftauchen. In den westlichen Medien wurde davon hauptsächlich deswegen berichtet, weil die Behörden nicht genug neue Scheine gedruckt hatten, so dass es zu lokalen Unruhen kam.
In Schweden gibt es kein Bargeldverbot. Stattdessen wird dort Bargeld einfach seltener benutzt, weil die Schweden gern mit Kreditkarte bezahlen. Das findet man dort einfach praktischer, gezwungen wird dazu niemand. Zu dieser Sache gab es einige Berichtein den Medien, die dann von Verschwörungsgläubigen (absichtlich?) falsch verstanden wurden.
In Deutschland gibt es übrigens auch kein Bargeldverbot. Es stimmt: Die Europäische Zentralbank denkt immer mal wieder laut über eine Abschaffung des 500-Euro-Scheins nach — in den meisten Ländern gab es vor der Einführung des Euro keine so große Noten, kaum jemand nutzt sie, und außerdem haben einige europäische Länder Probleme mit gebunkertem Schwarzgeld. Ob die Abschaffung des Riesenscheins aber wie vage beschlossen „gegen Ende 2018“ wirklich kommt, ist noch unklar. Und selbst wenn: Die Abschaffung eines einzelnen Notenwerts — für den es zudem kaum lautere Nutzungsszenarien gibt — kann wohl kaum als Bargeldverbot bezeichnet werden.
„Aber es könnte doch sein …“
Interessanterweise stört das offensichtliche Nichteintreffen des vorhergesagten Ereignisses die Gläubigen kein bißchen:
„Wir leben in der „Endzeit“, einige Prophezeiungen der Bibel werden realistisch erkennbar (u.a. Bargeldabschaffung), einige werden die Zeichen der Zeit erkennen, viele werden mit dem „Zeitgeist“ mitlaufen.“ (hier)
„Ich denke das ist so wie mit der umstrittenen PKW-Maut, warten wir es doch einfach mal ab, auf die paar Jährchen kommt es jetzt auch nicht drauf an, oder?😉“ (hier)
Also kommt das Bargeldverbot irgendwann in der Zukunft? Aber in der Endzeit leben wir auf jeden Fall jetzt schon? Ist also der Umstand, dass die Prophezeiung nicht eingetreten ist, etwa ein Zeichen für ihre Wahrheit? Hier wird nicht mehr wie sonst üblich das Eintreffen eines Ereignisses als Beleg für den göttlichen Ursprung der Prophezeiung gewertet, sondern das System wird umgedreht: Das Ereignis wird ganz sicher eintreffen, denn es steht ja so in der Bibel. Gegenläufige Beobachtungen sind somit keine Argumente gegen die Prophezeiung, sondern werden sogar als Bestätigung angesehen. Somit schließt sich der Kreis: Eine etwas abseitige Überzeugung immunisiert sich komplett von der Außenwelt und wird so zur Verschwörungstheorie.
Etwas Hintergrund zur Offenbarung des Johannes
Kommen wir nochmal zurück zur Offenbarung des Johannes. Die ist irgendwann im letzten Drittel des ersten Jahrhunderts entstanden — der genaue Zeitpunkt ist umstritten. Wichtig ist für unsere Zwecke, dass der Autor Johannes, der im Exil auf der Insel Patmos saß, das römische Reich nicht mehr als Ordnungsmacht sah, sondern als tyrannische Besatzung. Wenige Jahrzehnte vorher berichtet Paulus von Tarsus noch stolz von seinem römischen Bürgerrecht; Johannes beschimpft Rom dagegen nur wenig verklausuliert als „Hure Babylon.“
Es gibt eine lange Tradition tagespolitische Ereignisse mittels Metaphern und Analogien zu kommentieren. Die exakten Bezüge dieser Aussagen können jedoch oft nach einem Kontextwechsel verloren gehen. So erscheint uns z.B. die britische Fernsehsendung Monty Python’s Flying Circus heute vor allem lustig und albern. Die vielen tagespolitischen Anmerkungen und Satiren zur Lage im Großbritannien Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre werden von uns heute nicht nur nicht mehr verstanden — wir bemerken noch nicht einmal mehr ihre Anwesenheit. Diese Bedeutungsebene ist in nur 50 Jahren komplett verloren gegangen.
Analog ist es mit den politischen Aussagen und Kommentaren des verbannten Johannes: Die berühmte „Zahl des Tieres“ lässt sich, wenn man die damalige politische Lage beachtet, komplett ohne religiösen oder mythologischen Überbau erklären. Addiert man die hebräischen Zeichen (im Hebräischen werden Buchstaben ja bekanntermaßen als Ziffern „zweitverwertet“) für den Namen Kaiser Nero, נרון קסר (Neron Kesar), so erhält man nämlich die Summe 666. Dieselbe Summe ergibt sich, wenn weiterhin nach hebräischen Regeln gerechnet wird, für die griechische Schreibweise Νηρων Καισαρ (Nêrôn Kaisar). Der Text wurde also bewusst so verfasst, dass nur Juden und Christen mit Hebräischkenntnissen die Verschlüsselung durchschauten und nicht die römischen Staatsbeamten, die in der Osthälfte des Reiches, wo die Offenbarung des Johannes entstand (nach Aussage im Text selbst auf der ÄgäisinselPatmos), wohl Griechisch, aber kein Hebräisch verstanden.
Quelle: Christlicher Blog „Good Question – Reflections on questions about the Bible“
Ist das ein Geheimnis oder irgendwie esoterische Zahlenmystik, nur bekannt unter Eingeweihten oder spezialisierten Historikern? Nein. Der letzte Abschnitt steht so im Wesentlichen in der Wikipedia. Die Sache mit der „Zahl des Tieres“ ist ähnlich rätselhaft – nämlich gar nicht – wie die Aussage „Ich sag nicht, wer an Umstand X schuld ist, aber der Name beginnt mit ‚M‘ und endet mit ‚erkel‘.“ Die Prophezeiungs- und Wundergläubigen wollen das aber nicht verstehen. Dabei ergibt in diesem Kontext der Satz „Wer Verstand hat, der berechne die Zahl des Tieres, denn es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist 666“ plötzlich Sinn, und zwar ganz ohne absurde Annahmen zu Bargeldverbot oder anderen übernatürlichen Dingen: Hier ist wirklich ein Mensch gemeint, und zwar aus Sicht des verbannten Juden Johannes von Patmos ein sowohl sehr mächtiger als auch sehr böser – der römische Kaiser. Durch die „Verschlüsselung“ mittels hebräischer Ziffern konnte er die verhasste Besatzungsmacht beschimpfen und öffentlich ihr Ende herbei sehnen, ohne dafür mit den Behörden in Schwierigkeiten zu kommen.
Was will uns der Prophet wirklich sagen?
Abseits skeptischer oder historischer Betrachtungen gibt es noch eine weitere gute Methode zur Beurteilung solcher rätselhafter „Prophezeiungen“: Man überlegt, was abseits der üblichen Interpretation denn noch gemeint sein könnte. Kommt man mit denselben Auslegungsstrategien und Begründungsweisen wie die Religionisten zu komplett anderen Ergebnissen, dann sind die Interpretationen offensichtlich willkürlich, und damit taugt die Strategie offensichtlich nicht als Mittel zum Erkenntnisgewinn.
Im Falle der Prophezeiung über „das Zeichen des Tieres“ ist völlig klar, was hier wirklich gemeint ist: Das Zeichen des Tieres (im Englischen „the mark of the beast“) ist ganz klar identisch mit dem Zeichen, oder besser gesagt der Marke, des Teufels. Und der Teufel war ja auch die Schlange, die Adam und Eva im Paradies was überreicht hat? Hm? Genau, einen Apfel. Also ist die Marke des Tieres ein Apfel, den wir in „der rechten Hand tragen“? Na, klingelt’s? Hier wird ganz offensichtlich die Einführung des Apple iPhones, und zwar auch noch in Kombination mit PayPal vorhergesagt. „Wer Verstand hat“, der kauft ein iPhone.
Fazit: Die Behauptung, dass das anstehende Bargeldverbot wie in der Bibel prophezeit ein sicheres Zeichen für den unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang sei, stolpert über die folgenden Probleme:
Es gibt kein Bargeldverbot,
die Bibel spricht auch nicht von einem Bargeldverbot,
aus der vorgebrachten Stelle der Bibel lassen sich alle möglichen, widersprüchlichen Aussagen konstruieren, und
mit etwas historischem Wissen entpuppt sich der Abschnitt als leicht verklausulierte Kritik an der Politik der römischen Besatzungsmacht.
Wieder einmal ist es schon fast lächerlich einfach die immer wieder vorgebrachten Argumente der Religionisten zu zerlegen. In diesem Fall reichen dazu zwanzig Minuten Quellenstudium und etwas historisches Wissen.
Endlich ist es sicher: Das Christentum stimmt! Das behauptet zumindest der bekannte Kreationist Werner Gitt, der die Korrektheit der christlichen Lehren im Rahmen eines prophetisch-mathematischen Gottesbeweis bewiesen haben will. Werner Gitt ist einer der wenigen Kreationisten mit einer wissenschaftlichen Ausbildung und war vor seiner Pensionierung Ingenieur und Fachbereichsleiter bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Bei fundamentalistischen Christen ist er Posterboy und gilt als Beweis für die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Schöpfungslehre.
Im Gegensatz zu vielen anderen will Werner Gitt mit seinem Argument nicht bloß die Existenz irgendeines unendlich fernen Gottes beweisen, sondern ganz konkret die Korrektheit des Christentums. Dazu hat er sich die Bibel genau angeschaut und 3268 erfüllte, „historisch belegbare“ Prophezeiungen gezählt. Für jede einzelne dieser Prophezeiungen setzt er die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch ohne das Eingreifen eines Gottes erfüllt worden wäre, auf großzügige p=0,5. Die Wahrscheinlichkeit, dass sämtliche Voraussagen ohne das Eingreifen eines Gottes erfüllt wären, läge demnach bei w = 1,7 * 10-984 . Das ist verdammt unwahrscheinlich. Also schließt Werner Gitt: Ein göttliches Wesen muss eingegriffen haben. Und da nicht irgendwelche allgemeinen Prophezeiungen erfüllt wurden, sondern speziell die christlichen, muss hier ganz eindeutig Bibel-Gott Jahwe aktiv gewesen sein, der daher also existieren muss. Voilà!
Wie üblich lohnt es sich zu Beginn einer Betrachtung die verwendeten Begriffe zu klären. Damit eine Aussage oder Behauptung als gültige Prophezeiung gewertet werden kann, muss sie eine Reihe von Kriterien erfüllen: Sie muss zutreffend sein („Schwarz ist rot und plus ist minus“ ist keine Prophezeiung), sie muss vor dem betreffenden Ereignis gemacht werden („Gestern hatte ich üble Kopfschmerzen“ ist keine Prophezeiung), das Ereignis muss außergewöhnlich sein („Morgen früh wird die Sonne aufgehen“ ist keine Prophezeiung), sie muss exakt sein („Du wirst einen hochgewachsenen Fremden treffen“ auch nicht), und die Prophezeiung darf das Ereignis nicht selbst auslösen („Kellner, ich prophezeie eine Pizza!“ ist kein Wunder). Um das Zutreffen einer Prophezeiung beurteilen zu können, muss die Erfüllung zudem beobachtbar sein: Falls wir nicht beurteilen können, ob das prophezeite Ereignis eintrifft oder nicht, bleibt die Aussage eine bloße Behauptung.
Schauen wir uns nun die von Werner Gitt vorgebrachten Beispiele für „historisch belegbare“ erfüllte Prophezeiungen näher an.
Die Jesus-Prophezeiungen
Werner Gitt zählt eine lange Liste von Prophezeiungen über das Auftreten Jesu auf: sein Geburtsort, seine Abstammungslinie, seine göttlich/menschliche Natur, Details seines Wirkens, der Grund seiner Sendung, der Verrat gegen 30 Silberlinge, etc. Interessanterweise lässt Gitt die Prophezeiung der Jungfrauengeburt aus – nun ja, vielleicht ist ihm diese auf einem simplen Übersetzungsfehler beruhende „Vorhersage“ dann doch zu doof.
Natürlich hat diese Art „Erfüllung“ in einem Text keinerlei Beweiskraft für göttliche Eingriffe. Viel einfacher ist die Erklärung, dass die Autoren der vier in die Bibel aufgenommen Evangelien sich ihre Geschichten ganz bewusst so zurecht gebogen haben, dass ihre Jesus-Figur als Erfüller (der ihnen natürlich bekannten) alttestamentarischen Prophezeiungen dasteht. So lassen sich einige der uns heute etwas absonderlich erscheinenden Geschichten erklären: Um eine Weissagung (siehe Micha 5) über den Geburtsort des zukünftigen Messias der Juden zu erfüllen, musste die Geburt des Jesus von Nazareth mit Hilfe einer an den Haaren herbei gezogenen Volkszählungsgeschichte nach Bethlehem verlegt werden, dort lässt man dann den Herodes ein – erstaunlicherweise von keinem Chronisten erwähntes – Massaker an Kleinkindern ausführen (vage vorhergesagt in Jeremia 31). Jesus selbst schickt später seine Jünger los um einen Esel zu besorgen, damit er wie von Sacharja (Kapitel 9) geweissagt auf dem Tier in die Stadt reiten konnte.
Die Erfüllung der Jesus-Prophezeiungen ist also nicht beobachtbar, sondern bleibt bloße Behauptung durch die Autoren des Neuen Testaments. Ähnlich glaubwürdig wäre z.B. wenn im ersten Band der Harry Potter-Geschichten „Prophezeiungen“ gemacht werden, die dann im zweiten Band „erfüllt“ würden. Auch hier wird kaum jemand an das reale Eingreifen eines Gottes denken.
Die „historischen“ Prophezeiungen
Werner Gitt beschreibt dazu eine Reihe biblischer Prophezeiungen, die, wie er schreibt „historisch belegbar sind“. Los geht’s:
Von einigen mächtigen Völkern (z. B. Hethiter, Amoriter, Kanaaniter) der damaligen Zeit wird vorausgesagt, dass sie untergehen werden (2. Mose 23,23➝5. Mose 7,1).
Der Bibeltext erwähnt sogar noch einige weitere „mächtige“ Völker: Perisiter, Hiwiter und Jebusiter (und ruft, nebenbei gesagt, zum Völkermord an ihnen auf). Und, schon mal von den ach so mächtigen Jebusitern gehört? Nein? Wikipedia schreibt „Die Wissenschaft weiß weder durch archäologische noch durch außerbiblische Zeugnisse Näheres über dieses Volk.“ Ähnlich bei den Hiwitern: Hier bleibt die Frage eines Diskutanten „Gibt es historische Belege außerhalb der Bibel für die Existenz dieses Volkes?“ seit neun Jahren unbeantwortet. Im besten Fall handelt es sich um Dörfler oder Nachbarstämme der Israeliten, im schlechtesten Fall um bloße Erfindungen zum Auspolstern des eigenen Heldenmythos. Diesen für ihn eher peinlichen Teil des Bibelverses lässt Herr Gitt einfach weg.
Für die Existenz der Hethiter, Amoriter und Kanaaniter gibt es allerdings Belege: Die Amoriter waren ein semitischer Stamm am Euphrat des dritten und zweiten Jahrtausends. Das hethitische Königreich in Zentralanatolien ist im 12. Jahrhundert v.d.Z. untergegangen, danach hielten sich einige Kleinkönigreiche noch für einige Generationen, bevor sie von den Assyrern erobert wurden. Auch die kanaanitischen Stadtstaaten im Palästina des 13. Jahrhundert wurden im Laufe der Zeit nach und nach von Nachbarn erobert, ihre Bewohner gingen in den Nachbarvölkern auf.
Kleinere Staaten sind also im Laufe der Jahrhunderte erobert worden oder untergegangen, die betreffenden Stämme sind mit anderen verschmolzen. Was soll daran außergewöhnlich sein? Und – vielleicht wichtiger – woher wollen wir wissen, dass die Vohersagungen tatsächlich vor dem „Untergang“ der betreffenden „mächtigen Völker“ gemacht wurden? Die entsprechenden Bücher Mose haben ihre endgültige Form schließlich erst deutlich später, wahrscheinlich während des 6./5. Jahrhunderts v.d.Z., bekommen. Die Bibel selbst beschreibt, wie eine Schriftrolle im Tempel nachträglich „gefunden“, als Wort Gottes „erkannt“ und als 5. Buch Mose (Deuteronomium) zu den bereits vorhandenen vier Gesetzbüchern gelegt wurde. Ein eindeutiges Werk Gottes? Naja. Ist es nicht zumindest möglich, dass die Priester der Israeliten, trotz ihres angeblich allmächtigen Gottes entführt und unterdrückt von den Babyloniern, hier ihre eigene Heldensaga etwas ausschmücken wollten?
Von anderen Stämmen haben wir wie beschrieben außerhalb der Prophezeiung selbst nie etwas gehört, können also auch nichts zu ihrer Gültigkeit sagen. Den Satz „Und Gott sprach damals: Die Dhsdakjasrkjsdfkjsfd werden vernichtet werden und ihr werdet nie wieder von ihnen hören!“ wird ja wohl auch kaum jemand als gültige Prophezeiung durchgehen lassen.
Von einer Mythengestalt aus dem kaananitischen Pantheon wissen wir allerdings ganz sicher, dass sie es bis in die Gegenwart geschafft hat: Der stets missgelaunte kanaanitische Vulkan- und Wettergott Jahwe wird immer noch verehrt – wenn auch in veränderter Gestalt.
Und von anderen Völkern heisst es ebenso klar, dass sie bis zum Ende der Tage existieren werden: Israel (2. Chronik 9,8; Jes. 45,17), Ägypten (Jesaja 19,21–25)
Was soll man dazu sagen? Ob diese Voraussage zutrifft oder nicht, werden wir erst dann wissen, wenn das „Ende der Tage“ vorbei ist. Eine mögliche Erfüllung bleibt daher unbeobachtbar, die Behauptung kann nicht als erfüllte Prophezeiung gewertet werden.
Die Aufeinanderfolge der Weltreiche der Babylonier, Perser, Alexanders des Grossen und der Römer werden im Voraus in ihrer Art und ihrem Ende in Daniel 2,30–49 beschrieben. Die Prophetie geschah zu einer Zeit, als das babylonische Reich Nebukadnezars den Höhepunkt seiner Macht erreicht hatte.
Die Bibel beschreibt hier also präzise und im Voraus das Aufeinanderfolgen und den anschließenden Untergang von vier genau bezeichneten Weltreichen. Beeindruckend, oder? Das Problem ist nur: Das steht da nicht. Stattdessen wird eine Szene geschildert, in der der selbsternannte Prophet Daniel dem babylonischen König einen Traum deutet: Der König träumt von einem Standbild aus allerlei Materialien, das von einem Stein getroffen umfällt und auseinander bricht. Daniel deutet dies als das Aufeinanderfolgen vierer Reiche: Das erste sei aus Gold, das zweite aus Silber, das dritte aus Eisen und das vierte aus Ton. Die Prophezeiung erfüllt ihren Zweck, der König ist beeindruckt. Wir aber nicht, denn der Text gibt die Identifizierung dieser behaupteten silbernen, eisernen und tönernen Reiche mit Alexanders Feldzügen oder dem Römerreich in keiner Weise her.
Handelt Gitt hier noch in gutem Glauben oder lügt er bewusst? Es bleibt unklar.
Übrigens steht dort auch, dass noch vor dem Untergang des vierten Reiches, also laut Gitt des römischen, das ewige Reich Gottes auf der Erde errichtet werden wird: „Aber zur Zeit solcher Königreiche wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, das nimmermehr zerstört wird“. Dieses Gottesreich auf Erden muss ich bislang irgendwie übersehen haben. Gitt schreibt in seinem Artikel übrigens, „dass nie eine biblische Weissagung durch historische oder wissenschaftliche Tatsachen widerlegt worden ist.“ Ignoranz oder eine weitere Lüge?
Die in Hesekiel 26,3–21 vorausgesagten sechs Gerichte haben sich über Jahrhunderte hinweg präzise erfüllt.
Werner Gitt bezieht sich hier auf die altbekannte Prophezeiung zum Untergang von Tyros im heutigen Libanon: „Siehe, ich will über Tyrus kommen lassen Nebukadnezar, den König zu Babel … Er wird mit Sturmböcken deine Mauern zerstoßen und deine Türme mit seinen Werkzeugen umreißen.“ Und weiter: „Ich will einen kahlen Felsen aus dir machen; du sollst ein Ort werden, wo man die Fischernetze ausspannt, und du sollst nicht wieder aufgebaut werden.”
Im von mir zitierten Teil (Gitt überspringt ihn großmütig) findet sich die exakte Vorhersage, wer denn die Stadt zerstören werde, nämlich „Nebukadnezar, König von Babel“. Nun hat dieser Nebukadnezar Tyros zwar belagert, aber nicht zerstört, und schon gar nicht zu einem „kahlen Felsen“ gemacht. Stattdessen haben sich die Bewohner nach einer langen Belagerung im Jahr 568 v.d.Z. ergeben und dann die babylonische Herrschaft akzeptiert. Mal schauen, was Google Maps dazu sagt, wenn man „Tyros, Libanon“ eingibt …
Hm, nach „kahlen Felsen“ und „nicht wieder aufgebaut“ sieht das nicht aus. Wikipedia spricht von aktuell über 100.000 Einwohnern. Auch die Behauptung, dass Tyros auf die beschriebene Art und Weise untergehen und nie wieder aufgebaut würde, ist also offensichtlich unzutreffend. Gitts Behauptung, dass „nie eine biblische Weissagung durch historische oder wissenschaftliche Tatsachen widerlegt worden“ sei, erscheint immer absurder.
Fazit: Null zutreffende Prophezeiungen, null Beweise für den Bibel-Gott
Werner Gitt gibt in seinem Artikel 14 Beispiele für „eingetroffene Prophezeiungen“, die er für besonders überzeugend hält. Keine einzige hält einer näheren Betrachtung stand. Die Wahrscheinlichkeit, dass zu dieser „Leistung“ das Eingreifen eines Gottes notwendig ist, dürfte bei null liegen. Gitts prophetisch-mathematischer Gottesbeweis für die Korrektheit des Christentum ist gescheitert.
Immer wieder wird behauptet, dass die Erfüllung zahlreicher Vorhersagen alttestamentarischer Propheten durch den neutestamentarischen Jesus ein eindeutiger Beweis für die Existenz Gottes sei: So viele Zufälle, so wird argumentiert, könne es gar nicht geben! Und in der Tat haben die Autoren der vier in die Bibel aufgenommen Evangelien sich alle Mühe gegeben, ihre Jesus-Figur als Erfüller (der ihnen natürlich bekannten) alttestamentarischen Prophezeiungen darzustellen. So lassen sich einige der uns heute etwas absonderlich erscheinenden Geschichten erklären: Um eine Weissagung (siehe Micha 5) über den Geburtsort des zukünftigen Messias der Juden zu erfüllen, musste die Geburt des Jesus von Nazareth mit Hilfe einer an den Haaren herbei gezogenen Volkszählungsgeschichte nach Bethlehem verlegt werden, dort lässt man dann den Herodes ein – erstaunlicherweise von keinem Chronisten erwähntes – Massaker an Kleinkindern ausführen (vage vorhergesagt in Jeremia 31). Jesus selbst schickt später seine Jünger los um einen Esel zu besorgen, damit er wie von Sacharja (Kapitel 9) geweissagt auf dem Tier in die Stadt reiten konnte.
Der Evangelist Matthäus informiert uns weiterhin, dass Jesus Mutter eine Jungfrau gewesen sei und verweist dann im Wortlaut auf die dadurch erfüllte Prophezeiung in Jesaja 7:
Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird schwanger werden und wird einen Sohn gebären, den sie Immanuel nennen wird.
Beeindruckend, oder? Zumindest, wenn man über den nicht ganz zutreffenden Namen „Immanuel“ (bedeutet etwa: Gott ist mit uns) hinweg sieht – auch Propheten können schließlich mal irren. Manchmal werden sie aber auch schlichtweg falsch übersetzt: So steht in jeder einigermaßen aktuellen Bibelausgabe die Fußnote, dass anstatt „Jungfrau“ im Original der Begriff für „die junge Frau, das Mädchen“ steht. Weiterhin sind Matthäus die Zeiten durcheinander geraten, das Original spricht davon, dass die junge Frau bereits „schwanger ist“. Also reduziert sich die Vorhersage auf den Satz: „Die junge, bereits schwangere Frau wird einen Sohn gebären, den sie Immanuel nennen wird.“ – Vom Wunder einer durch Jesus erfüllten Prophezeiung ist jetzt schon nicht mehr allzu viel übrig.
„Jungfrau? Welche Jungfrau?“
Gibt man sich etwas Mühe und liest den Kontext des vielzitierten Satzes, ergibt sich folgende Geschichte: Der König Ahas wird von den Armeen zweier Rivalen bedroht. Der Seher Jesaja richtet dem König während einer Ratsversammlung von Jahwe aus, dass er den anstehenden Kampf gewinnen werde. Um seine Prophezeiung zu bekräftigen, beruft sich Jesaja wieder auf seinen Gott, zeigt auf eine anwesende, schwangere Frau und sagt: Diese Frau wird einen Sohn gebären und ihn Immanuel nennen. Wenn der Sohn alt genug ist um gut und böse zu unterscheiden, werden die Königreiche deiner Feinde untergegangen sein und öde liegen.
Offensichtlich bezog sich die Bemerkung Jesajas also keinesfalls auf das Auftreten eines Messias, sondern war eine rhetorische Figur in einer konkreten Situation, bei einer Weissagung zum Kriegsgeschick eines antiken Fürsten im Kampf gegen seine Feinde. Von einem Messias, dessen Mutter eine Jungfrau sein werde, ist nicht die Rede. Von einer Jungfrau ist überhaupt nicht die Rede. Hat Evangelist Matthäus hier versucht, seine Leser mit einer „gefälschten“ Prophezeiung übers Ohr zu hauen? Oder wusste er es selbst nicht besser? – Es bleibt unklar.
Wirklich erstaunlich ist, dass immer noch sehr viele Leute die Erfüllung der alttestamentatischen Prophezeiungen als Beweis für die Göttlichkeit der Jesus-Figur sehen: „Es kann kein Zufall sein, dass ein Mann all diese Prophezeiungen erfüllt! Statistisch unmöglich!! Nur Gott kann sowas bewirken!!!“ – Sind diese Leute wirklich nie auf die Idee gekommen, dass die Autoren der Evangelien die überlieferten Sprüche der jüdischen Propheten selbstverständlich kannten? Dass sie ihre Geschichten natürlich so zurecht gebogen haben, dass die alten Weissagungen erfüllt werden? Offenbar haben die Evangelisten die alten Bücher nach möglicherweise passend zu machenden Vorhersagen geradezu abgegrast – Dass dabei das eine oder andere Malheur passiert ist, ist wohl verständlich.
„Ein Wunder! Ein Wunder!“:
„Die Wahrscheinlichkeit zur Erfüllung aller Voraussagen ist damit gleich Null, d. h. der Zufall scheidet als Erklärungsversuch aus“ (Web)
„Tausende von Prophezeiungen der Bibel sind eingetroffen und bestätigen deutlich Gottes Wort“(Web)
„Der Geburtsort von Christus (Messias) wurde vorhergesagt …“ (Web)