Jedes Jahr das gleiche Spiel: Auch 2015 haben die deutschen Bundesländer der evangelischen und katholischen Kirche wieder eine Rekordsumme an Staatsleistungen überwiesen, im vergangenen Jahr waren es 510 Millionen Euro. Dass die jeweils gültige deutsche Verfassung seit 1919 eine Trennung von Staat und Kirche und eine Ablösung der Zahlungen befiehlt – das wird seit fast hundert Jahren geflissentlich ignoriert.
Diese Staatsleistungen legen die deutschen Bundesländer großzügig auf die diversen sonstigen Zahlungen an die Großkirchen obendrauf: auf die Kirchensteuer, die Zahlungen an die religiösen Sozialbetriebe und die Bezahlung der Bischofsgehälter (Bischöfe sind in Deutschland Staatsbeamte). Ab und an liest man von Initiativen die Staatsleistungszahlungen zu beenden, die werden dann von den anrückenden Lobbyisten schnell erstickt. (Obwohl: „Anrücken“ müssen die Kirchenlobbyisten oft gar nicht, denn in vielen Landtagen haben sie eh ständige Büros)
Staatsleistungen – Zahlungen auf Rekordniveau
Woher stammen diese angeblichen Verpflichtungen? Für die katholischen Bistümer ist es so: Als Folge der Französischen Revolutionskriege wurde in den Jahren 1802-3 das Deutsche Reich politisch neu strukturiert. In diesem Rahmen wurden auch die Reichslehen der katholischen Fürstbischöfe eingezogen und neu vergeben. Diese Fürsten erhielten von ihren adeligen Standesgenossen ein Gehalt auf Lebenszeit zugesagt, die Staatsleistungen. Die Reichsfürsten wollten damit den nun pfründelosen Bischöfen, mit denen sie ja meist verwandt waren, eine ihrem adeligen Stand „angemessene“ Lebensführung ermöglichen. Mit dem Tod des letzten betroffenen Fürstbischofs hatten diese Staatsleistungen damit bereits im 19. Jahrhundert ganz offensichtlich ihre Berechtigung verloren. Die „Verpflichtungen“ gegenüber den evangelischen Kirchen sind zumeist noch älter, sie stammen aus dem Umfeld des Dreißigjährigen Krieges.
Die Neuordnungen der Staatsstruktur waren aus damaliger Sicht jedoch politisch und juristisch angemessen und im Wesentlichen Folgen verlorener Kriege. Die ab und an gehörte Analogie, die Staatsleistungen seien wie die “Miete für eine Wohnung”, greift nicht: Dieser Argumentation folgend könnten die Araber von Spanien eine “Miete” für Andalusien verlangen, oder Deutschland eine „Miete“ von Frankreich für Elsass-Lothringen. Den Lobbyisten möchte ich sehen, der das vorschlägt.
Mit dem Beginn der deutschen Demokratie und der damit verbundenen Abschaffung des Adels und der Staatskirchen 1919 wurde dieses „neue“ Verhältnis in der Weimarer Verfassung (Artikel 137, 138) fixiert. Die Regelungen dieser Artikel bleiben auch im Grundgesetz (Artikel 140) erhalten und wirksam. Staat und Kirche sind also in Deutschland getrennt, Staatsleistungen an die Kirchen müssen abgeschafft werden. Trotzdem schaffen es Kirchenvertreter und die Kirchenlobby in den Parlamenten in geschickter Weise immer wieder die Fortzahlung durchzusetzen.
Evangelische Kirchen – Austritte auf Rekordniveau
Eine andere Rekordzahl wird fast zeitgleich gemeldet: Die Zahl der Austritte aus den evangelischen Landeskirchen hat einen neuen Höchststand seit 1995 erreicht. Fast exakt 270.000 Protestanten, also mehr als eine Viertelmillion, verließen 2014 die evangelische Kirche. Das waren 53 Prozent mehr als 2013.
Legt man beide Zahlen nebeneinander, wundert man sich nicht, warum die evangelische Kirche im Gegensatz zu den Katholiken manchmal vage Verhandlungsbereitschaft bezüglich einer Ablösungen der deutschen „Schulden“ aus dem Dreißigjährigen Krieg signalisiert. Man könne sich z.B. eine Aufgabe der Forderung gegen eine Einmalzahlung in zehn- bis vierzigfacher Höhe vorstellen. Hier versucht die Kirche offensichtlich noch schnell einen money grab, bevor ihr die Basis – und damit die politische Unterstützung für die absurd begründeten Zahlungen – komplett wegbricht.